Aufwändig instandgesetzt lädt es heute zum Verweilen bei Kaffee und
Kuchen ein. Mit der Auszeichnung „Denkmal des Monats Juli“ würdigt der Landschafts-
verband Westfalen-Lippe (LWL) die erfolgreiche Umnutzung des stadtbildprägenden
Baudenkmals.
„Das Bahnhofsempfangsgebäude in Vlotho zählt zu den besonders eindrucksvollen
Geschichtszeugnissen des Eisenbahnbaus in Westfalen“, sagt LWL-Denkmalpfleger Marcus
Brokmann, der das Projekt fachlich begleitet hat. Noch vor wenigen Jahren stand es schlecht
um den Backsteinbau. „Starker Pflanzenbewuchs, zerstörte Fenster und Türen und klaffende
Löcher im Dach ließen die geschichtliche Bedeutung und architektonische Qualität des
Baudenkmals kaum noch erahnen“, erinnert sich der Denkmalpfleger. Notdürftig durch einen
Bauzaun gesichert, hatte das Gebäude seit seiner Privatisierung im Jahr 1992 leer
gestanden.
Jahrelang hatten die Stadt Vlotho und der Verein „Bürgerbahnhof Vlotho“ sich gemeinsam
mit dem LWL-Denkmalfachamt um die Instandsetzung und Nutzung des Baudenkmals
bemüht. Erst als der Abbruch bevorstand, war dank eines Ankaufs durch das
Familienunternehmen „Karlchens Backstube GmbH“ die Rettung gelungen.
„Angesichts des insbesondere im Inneren fortgeschrittenen Verfalls standen der neue
Eigentümer und die Denkmalbehörden vor großen Herausforderungen“, blickt Brokmann
zurück, „in enger Abstimmung konnten jedoch gute Lösungen gefunden werden.“
So strahlen die Ziegelfassaden heute wieder in einem lebendigen Rotton. Abgängige
Verzierungen an der Fassade wurden nach historischem Vorbild ersetzt und anhand des
letzten erhaltenen Originalfensters entstanden neue Sprossenfenster. „Auch im Inneren
wurde die eindrucksvolle Qualität des Massivbaus durch die Instandsetzung der gemauerten
Scheidbögen und Gewölbe im Vestibül des Erdgeschosses und im Kellergeschoss
herausgearbeitet“, beschreibt Brokmann die detailverliebte Instandsetzung.
Seit August 2023 setzt das verkehrsgünstige gelegene Bahnhofsempfangsgebäude wieder
einen starken Akzent im Stadtbild Vlothos.
Hintergrund
Der Eisenbahnbau in Westfalen nahm nach der Deutschen Reichsgründung 1871 deutlich
Fahrt auf und verhalf vielen vormals abgelegenen Regionen zu einem
Wirtschaftsaufschwung. Im Zuge des Ausbaus im Weserbergland begann die private
Hannover-Altenbekener Eisenbahn-Gesellschaft 1872 mit dem Bau der Teilstrecke Elze-
Hameln-Löhne. Nach der Einweihung der Verbindung im Jahr 1875 erschlossen sich für die
Stadt Vlotho überregionale Verkehrswege, so dass eine Belebung insbesondere der Zigarren- und Tabakindustrie einsetzte.
Als Archetypus der zu dieser Zeit entstandenen preußischen Bahnhofsempfangsgebäude
zeigt das Vlothoer Beispiel jenen hohen Gestaltungsanspruch, mit dem die An- und
Abreisenden standesgemäß empfangen werden sollten. Nicht nur die Farbigkeit und
Materialästhetik des sorgfältig geschichteten Ziegelmauerwerks, auch zahlreiche
historistische Details prägen die Fassaden. Auffällig ist zunächst der erhöhte Mittelrisalit
(Element zur Fassadengliederung), der durch Mittelakroterien (Verzierungen an der
Giebelspitze) und Okulusfenster (Rundfenster) belebt wird. Seine Eckzinnen erwecken einen
wehrhaften Eindruck. Die langgestreckten Fassaden werden darüber hinaus durch Lisenen,
Sohlbankgesimse und Ziegelformsteine aus Vierpässen und Konsolen gegliedert. Mit
geübtem Blick ist an den Baunähten zu erkennen, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg an beiden Schmalseiten Erweiterungen vorgenommen wurden.